Vorwort
 

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Meine liebe Leserin, mein lieber Leser, ich bitte dich, lies dieses Vorwort zu deiner und meiner Befriedigung.

Die Blumenbinderin Glykera verstand es so geschickt, ihre Blumen auf mannigfaltige Art zusammenzustellen, dass der Maler Pausias, der die verschiedenen Sträuße zu malen versuchte, nicht imstande war, ihre stets neue Farbenpracht so auf die Leinwand zu bringen, wie sie Glykera durch geschickte Anordnung der Blumen hervorzauberte.
So ist es auch mit den Unterweisungen für das geistliche Leben. Alle Diener Gottes tragen in ihren Predigten und Schriften die gleichen Lehren über die Frömmigkeit vor; unter der Leitung des Heiligen Geistes bringt sie aber jeder in anderer Anordnung und Zusammenstellung. Bei völlig gleich bleibender Lehre sieht daher die Darstellung immer wieder anders aus und wirkt auch anders.
Auch ich will in dieser Anleitung das gleiche sagen wie meine Vorgänger, die über diesen Gegenstand schrieben. Ich biete dir, lieber Leser, dieselben Blumen an wie sie. Mein Strauß wird aber anders aussehen, weil ich die Blumen anders zusammengestellt habe.
Die vor mir über die Frömmigkeit schrieben, hatten fast ausnahmslos Leser im Auge, die ein Leben fern von weltlichen Geschäften führten, oder solche, die sie zur Weltflucht bewegen wollten. Ich dagegen will gerade jenen helfen, die in der Stadt, im Haushalt oder bei Hof leben und durch ihren Stand notwendigerweise oft mit anderen zusammenkommen. Bei ihnen findet man oft die irrige Ansicht, ihnen sei das Streben nach Frömmigkeit unmöglich; sie wollen daran also nicht einmal denken.
Kein Tier wagt den Kern der so genannten „Palma Christi“ auch nur mit der Zunge zu berühren; so meinen auch diese Menschen, sie dürften nicht wagen, nach der Palme der christlichen Frömmigkeit zu streben, solange sie unter dem Druck irdischer Geschäfte stehen.
Ich frage dich aber: Liegt nicht die Perlmutter im Meer, und lässt doch nicht einen Tropfen Meerwasser eindringen? Sprudeln nicht bei den Chelidonischen Inseln Süßwasserquellen aus Meerestiefen empor? Fliegt nicht der Feuervogel mitten durch die Flammen, ohne sich die Flügel zu versengen? – So will auch ich dir zeigen, wie Menschen von starkem Charakter in der Welt leben können, ohne weltliches Wesen anzunehmen; wie sie inmitten der Flammen irdischer Begierlichkeit weilen können, ohne sich die Schwingen heiliger Sehnsucht nach der Frömmigkeit zu versengen; wie sich inmitten der bitteren Flut des Weltlebens ihnen Quellen erquickenden Wassers erschließen.
Ich weiß wohl, das ist nicht leicht. Deshalb möchte ich, dass mehr Sorgfalt, mehr Eifer als bisher darauf verwendet werde. Das ist auch der Grund, warum ich trotz meiner Unfähigkeit versucht habe, in dieser Schrift allen jenen eine kleine Handhabe zu bieten, die sich hochherzig an diese hohe Aufgabe wagen.

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Trotzdem erscheint diese Anleitung nicht etwa, weil ich mich aus eigenem Antrieb dazu entschlossen hätte. Vielmehr ersuchte mich eine tugendhafte Seele, die durch Gottes Gnade ein frommes Leben anstrebt, ihr dabei zu helfen. Ich war ihr verpflichtet und habe schon seit langem eine gute Anlage für dieses Vorhaben bei ihr bemerkt. So unterwies ich sie eingehend, lenkte sie durch Übungen entsprechend ihrem Wunsch und Stand und übergab ihr verschiedene Abhandlungen, die sie nach Bedarf durchlesen konnte. Ein frommer und gelehrter Ordensmann, dem sie diese Unterweisungen zeigte, war der Ansicht, sie könnten auch anderen von Nutzen sein. Er ermunterte mich sehr, sie zu veröffentlichen. Da seine Freundschaft viel über mich vermag und sein Urteil für mich maßgebend ist, gelang es ihm leicht, mich zu überreden.
Um diese Abhandlungen nützlicher und ansprechender zu machen, habe ich alles durchgesehen, geordnet, zweckmäßige Unterweisungen und Bemerkungen hinzugefügt. Dazu stand mir aber wenig Zeit zur Verfügung. Du wirst daher nicht etwas Vollendetes finden, sondern eine Reihe gut gemeinter Ratschläge, die ich möglichst klar und verständlich darzustellen suchte. An eine schön geformte Sprache wagte ich nicht einmal zu denken, denn ich hatte genug anderes zu tun.
Ich rede meinen Leser mit „Philothea“ an. Was ich zuerst einer Seele schrieb, sollte nun mehreren dienen; deshalb wählte ich einen Namen, der allen gemeinsam ist, die nach Frömmigkeit streben. Philothea bedeutet ja „Gott liebende Seele“.

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Mit meiner Anleitung wende ich mich also an einen Menschen, der fromm sein will und nach der Gottesliebe strebt. Im ersten Teil bemühe ich mich, durch Erwägungen und Übungen den einfachen Wunsch dieses Menschen in einen festen Entschluss umzuwandeln, den er nach einer Generalbeichte in eine feierliche Erklärung fasst und mit der heiligen Kommunion besiegelt. Damit gibt er sich dem Heiland hin, empfängt ihn und hat dadurch das Glück, in den Bereich seiner heiligen Liebe zu treten.
Um ihn auf diesem Weg weiterzuführen, zeige ich ihm zwei Hauptmittel, die ihn immer mehr mit der göttlichen Majestät vereinigen: Durch die heiligen Sakramente steigt Gott in seiner Güte zu uns herab, durch das Gebet zieht er uns zu sich empor. Darauf verwende ich den zweiten Teil meines Buches.
Im dritten Teil zeige ich ihm, wie er sich in den verschiedenen Tugenden üben soll, die seinem inneren Fortschritt besonders förderlich sind. Hier halte ich mich länger nur bei einigen Ratschlägen auf, die er nicht leicht anderswo oder von selbst finden könnte.
Im vierten Teil decke ich ihm einige Fallstricke seiner Feinde auf und zeige ihm, wie er ihnen entgehen und sie überwinden kann.
Im fünften Teil schließlich lade ich diesen Menschen ein, ein wenig in die Einsamkeit zu gehen. Hier soll er sich wieder auffrischen, Atem schöpfen und seine Kräfte erneuern. Dann vermag er um so kräftiger auszuholen und in der Frömmigkeit voranzukommen.

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Wir leben in einer sonderbaren Zeit. Ich sehe voraus, dass manche sagen werden, um die persönliche Seelenführung sollten sich die Ordensleute und Asketen annehmen; sie nehme mehr Zeit in Anspruch, als ein Bischof zur Verfügung habe, auf dem die Sorge für eine so schwierige Diözese lastet; außerdem nehme sie den Geist zu sehr in Anspruch, der auf wichtige Dinge gerichtet sein sollte.
Mit dem großen hl. Dionysius sage ich dir: Es ist in erster Linie Aufgabe der Bischöfe, die Seelen zur Vollkommenheit zu führen, da sie unter den Menschen den ersten Rang einnehmen, wie die Serafim unter den Engeln. Sie können daher ihre freien Augenblicke nicht besser verwenden als auf diese Aufgabe. Die Bischöfe der ersten christlichen Jahrhunderte nahmen die Pflichten ihres Amtes nicht leichter als wir; trotzdem übernahmen sie die Seelenleitung bestimmter Menschen, die sie um Hilfe baten, wie wir aus ihren Briefen ersehen. Darin folgten sie den Aposteln, die wohl das große Saatfeld der Kirche bestellten, einzelner Ähren sich aber in besonderer Weise annahmen. So waren Timotheus, Titus, Philemon, Onesimus, Thekla, Appia die geliebten Kinder des hl. Paulus, Markus und Petronilla die des hl. Petrus; Petronilla war ja, wie Baronius und Galonius nachweisen, nicht die leibliche, sondern geistliche Tochter des hl. Petrus. Schreibt nicht auch der hl. Johannes einen seiner kanonischen Briefe an die fromme Frau Elekta?
Ich gebe zu, es kostet Mühe, einzelne Seelen zu führen; aber es ist eine Mühe, die erquickt. Sie gleicht jener der Schnitter und Winzer, die nie zufriedener sind, als wenn sie sehr viel Arbeit haben. Es ist eine Arbeit, die durch ihre Schönheit das Herz derer stärkt und erquickt, die sie unternehmen. Um die Tigerkatze abzulenken, lässt der Jäger eines ihrer Jungen auf dem Weg liegen, während er die anderen davonträgt; findet sie es, dann packt sie es und wird in ihrem Lauf dadurch nicht behindert, sondern nur behänder, so schwer es auch sein mag, denn die Liebe macht ihr die Last leicht. Um wie viel lieber wird ein väterliches Herz sich einer Seele annehmen, in der es den Wunsch nach Vollkommenheit festgestellt hat, wird sie mit Freuden tragen, wie eine Mutter ihr Kindlein, ohne die Schwere dieser geliebten Last zu spüren. Aber es muss wirklich ein väterliches Herz sein. Deshalb nannten die Apostel und die apostolischen Männer ihre Schüler nicht nur Kinder, sondern ganz zärtlich „Kindlein“.

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Im Übrigen, lieber Leser, ist es wohl wahr, dass ich über die Frömmigkeit schreibe, ohne selbst fromm zu sein, aber gewiss nicht ohne den Wunsch, es zu werden. Diese Liebe zur Frömmigkeit gibt mir den Mut, dich darin zu unterweisen; denn nach dem Ausspruch eines großen Schriftstellers ist ein guter Weg zu lernen das Studium, ein besserer das Hören, der beste aber das Lehren. Oft, schreibt der hl. Augustinus, empfängt man, indem man gibt. Wer zu lehren hat, ist zu lernen gezwungen.
Alexander der Große ließ die schöne Kampaspe, die ihm sehr teuer war, von Apelles malen. Dabei musste dieser sie eingehend betrachten; so bohrte sich die Liebe zu ihr umso tiefer in sein Herz hinein, je deutlicher er ihre Züge auf seinem Gemälde ausführte. Bald liebte er sie so leidenschaftlich, dass Alexander es merkte. Aus Mitleid gab er sie ihm zur Ehe und begab sich seiner treuen Freundin aus Liebe zu Apelles. Damit, sagt Plinius, bewies er seine Seelengröße ebenso, als hätte er eine große Schlacht gewonnen. So scheint Gott von mir als Bischof zu verlangen, dass ich nicht nur die gewöhnlichen Tugenden in die Herzen der Menschen zeichne, sondern auch die Frömmigkeit, die ihm so teuer ist, die er sehr liebt. Ich will es gern unternehmen, um ihm zu gehorchen und meine Pflicht zu erfüllen, aber auch, weil ich hoffe, dass mein Herz in heiliger Liebe zur Frömmigkeit entflammt werde, wenn ich sie in die Herzen anderer einzuprägen suche. Sieht Gott mich aber von der Liebe zu ihr erfasst, dann wird er mich ihr gewiss auf ewig vermählen.
Weil die schöne, keusche Rebekka die Kamele Isaaks tränkte, wurde sie zu seiner Gemahlin erkoren und empfing von ihm goldene Ohrgehänge und Armspangen. Ich führe Gottes geliebte Schäflein zu den heiligen Wassern der Frömmigkeit; darum erhoffe ich mir von seiner unermesslichen Güte, dass er meine Seele zu seiner Braut erhebe, an mein Ohr die goldenen Worte seiner heiligen Liebe dringen lasse und meinen Armen die Kraft verleihe, diese Liebe auch in der Tat zu verwirklichen; denn darin besteht doch das Wesen der wahren Frömmigkeit. So bitte ich seine göttliche Majestät, diese Frömmigkeit den Kindern seiner Kirche zu verleihen, der ich ja für immer meine Schriften, meine Handlungen, meine Worte, mein Wollen und mein Denken unterwerfe.

Annecy, am Fest der hl. Magdalena 1609.

 

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