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  30. Kapitel
    Weitere  Ratschläge über das Reden.
  Deine Sprache soll ruhig, offen und gerade, schlicht,  natürlich und aufrichtig sein. Hüte dich vor jeder Doppelzüngigkeit,  Geziertheit und Schlauheit. Wenn es auch nicht immer gut ist, unbedingt alles  herauszusagen, was wahr ist, so ist es doch nie gestattet, die Unwahrheit zu  sagen. Gewöhne dich daran, niemals bewusst zu lügen, weder um dich zu  entschuldigen, noch aus einem anderen Grund. Bedenke immer, dass Gott der Gott  der Wahrheit ist (Ps 33,4). Hast du aus Unachtsamkeit gelogen, dann stelle  womöglich sofort durch eine Erklärung oder Zurücknahme deine Behauptung  richtig. Eine aufrichtige Entschuldigung wirkt immer besser als eine noch so  schöne Lüge.
    Wenn man auch zuweilen taktvoll und klug die Wahrheit durch  geschickt gewählte Worte verschleiern und verbergen darf, so soll das  doch nur in ganz wichtigen Dingen geschehen, soweit es die Ehre und der Dienst  Gottes offenkundig erfordern; sonst sind solche Kunstgriffe gefährlich, denn  wie die Schrift sagt, wohnt der Heilige Geist nicht in einer listigen und  doppelzüngigen Seele (Weish 1,5). Es gibt keine bessere und erstrebenswertere  Klugheit als die Einfalt. Menschliche Schlauheit und irdische List sind  das Erbteil der Kinder dieser Welt; die Kinder Gottes gehen den geraden Weg,  ihr Herz hat keine verborgenen Falten. Wer einfach wandelt, sagt der Weise,  wandelt sicher (Spr 10,9). Lüge, Doppelzüngigkeit und Verstellung lassen immer  auf einen schwachen und gemeinen Charakter schließen.
    Der hl. Augustinus schreibt im 4. Buch seiner Bekenntnisse, dass  er mit seinem Freund ein Herz und eine Seele war, so dass ihm nach dem Tod  seines Freundes vor dem Leben bangte, weil es ihm nur ein halbes Leben schien;  dennoch fürchtete er wiederum sein eigenes Sterben, damit sein Freund nicht  auch mit sterbe. Diese Ausdrücke schienen ihm später zu gekünstelt und gemacht;  er nahm sie deshalb auch im „Buch der Widerrufe“ zurück und nannte sie einen  Unsinn. Siehst du, wie empfindlich dieser Heilige gegen affektierte Worte war?  Denn ohne Zweifel ist eine gerade, klare und offene Sprache die Zierde des  christlichen Lebens. „Ich habe gesagt, ich werde auf meine Wege achten, um  nicht mit der Zunge zu sündigen. Herr, stelle eine Wache auf vor meinem Mund  und verschließe meine Lippen mit einem Tor“, betete David (Ps 39,1; 141,3).
    Der hl. Ludwig gibt den Rat, niemandem zu widersprechen,  außer jener hat gesündigt oder ist in Gefahr, es zu tun. Damit wollte er jeden  Streit vermeiden. Sind wir gezwungen, zu widersprechen und unsere Ansicht der  eines anderen entgegenzustellen, so soll es ruhig, taktvoll und ohne Heftigkeit  geschehen. Mit Grobheit gewinnt man nichts.
    Die Weisen des Altertums empfehlen, wenig zu reden.  Das heißt nicht, man soll nur wenige Worte sagen, sondern unnütze vermeiden.  Beim Reden zählt man nicht die Worte, sondern wägt den Inhalt. Vor zwei  Übertreibungen soll man sich in acht nehmen: 1. den verschlossenen Strengen zu  spielen, so dass man in Gesellschaft nicht an der Unterhaltung teilnehmen will;  das sieht nach Misstrauen oder Verachtung aus; 2. unaufhörlich zu schwätzen und  zu plaudern, so dass die anderen überhaupt nicht zu Worte kommen; dann wird man  zu Recht für seicht und oberflächlich gehalten.
    Der hl. Ludwig sah es nicht gern, wenn man in Gesellschaft,  vor allem bei Tisch miteinander flüsterte und leise beriet, denn das ließe den  Verdacht aufkommen, dass man über andere Schlechtes sagte. Er sagte: „Wer in  guter Gesellschaft bei Tisch etwas Fröhliches und Aufheiterndes zu sagen weiß,  soll es vor allen sagen; über wichtige Dinge aber soll man in diesem Fall nicht  sprechen und lieber schweigen.“
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