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3. Kapitel
Die Natur der Versuchung.
Der Unterschied zwischen Versuchung und Zustimmung.
Stelle dir eine von ihrem Gemahl heiß geliebte Prinzessin vor, die ein Unhold zum Ehebruch verführen will. Er schickt ihr einen infamen Liebesboten, um sie von seinem ruchlosen Plan in Kenntnis zu setzen. Dieser legt zunächst der Prinzessin die Absicht seines Herrn dar. Die Prinzessin zeigt Wohlgefallen oder Missfallen am Vorschlag und an der Botschaft; schließlich stimmt sie zu oder lehnt ab.
So schicken Satan, Welt und Fleisch der Seele, die mit dem Sohn Gottes vereinigt ist, Versuchungen als ihre Boten. Dabei wird erstens die Sünde vorgeschlagen, zweitens wird die Seele daran Gefallen oder Missfallen finden, drittens wird sie zustimmen oder die Versuchung abweisen. So steigt die Seele auf drei Stufen zum Bösen hinab: Versuchung, Wohlgefallen und Zustimmung. Wenn diese drei Stufen auch nicht so offenkundig bei allen Sünden erkennbar sind, so sind sie doch bei den großen, schweren Sünden förmlich greifbar.
Wenn eine Versuchung, zu welcher Sünde auch immer, unser ganzes Leben andauern sollte, so missfallen wir dadurch der göttlichen Majestät keineswegs, solange sie uns nicht gefällt und wir ihr nicht zustimmen. Denn bei der Versuchung handeln nicht wir, sondern wir erleiden sie; weil wir daran keine Freude haben wollen, kann uns dabei auch keine Schuld treffen. Der hl. Paulus litt lange Zeit unter Versuchungen des Fleisches; trotzdem missfiel er Gott nicht, sondern Gott wurde dadurch sogar verherrlicht (vgl. 2 Kor 12,7ff). Die selige Angela von Foligno wurde von so grausamen sinnlichen Versuchungen gequält, dass man ihre Schilderung nicht ohne Ergriffenheit lesen kann. Schwere Versuchungen überfielen auch den hl. Franz von Assisi und den hl. Benedikt, von denen der eine sich in Dornen wälzte, der andere im Schnee, um sie zu mildern. Trotzdem verloren sie dabei nichts an Gnade bei Gott, sondern vermehrten sie noch bedeutend.
Bleib also mutig in der Versuchung! Halte dich nie für besiegt, solange sie dir missfällt. Achte wohl auf den Unterschied zwischen dem Gefühl und der Einwilligung. Man kann Versuchungen fühlen, und doch können sie uns missfallen; man kann aber nicht zustimmen, ohne dass sie uns gefallen, denn das Gefallen daran ist die Stufe, auf der man gewöhnlich zur Einwilligung hinabsteigt.
Die Feinde unseres Heils mögen uns also vorspiegeln, was sie wollen, sie mögen uns locken und reizen, sie mögen Tag und Nacht vor der Pforte unseres Herzens stehen, um einzudringen, sie mögen uns noch so viele Vorschläge unterbreiten; solange wir entschlossen sind, keine Freude daran zu haben, ist es unmöglich, Gott dadurch zu beleidigen. So kann auch der Gemahl jener Prinzessin, von der wir vorhin sprachen, dieser nicht böse sein wegen der Botschaft, die ihr gesandt wurde, wenn sie keine Freude daran hatte. Trotzdem besteht ein Unterschied zwischen der Seele und dieser Prinzessin: Sie kann den Boten fortjagen und nicht anhören, es steht aber nicht in der Macht der Seele, die Versuchung nicht zu fühlen; das einzige, was sie vermag, ist, ihr nicht zuzustimmen. So kann uns also die Versuchung nicht schaden, solange sie uns missfällt, auch wenn sie noch solange anhält.
Was nun die Freude betrifft, die auf eine Versuchung folgt, muss man wissen, dass wir zwei Bereiche in unserer Seele haben: den niederen und den höheren. Der niedere folgt nicht immer dem höheren, sondern betreibt seine eigene Politik. Es kommt vor, dass der niedere Bereich unserer Seele an der Versuchung Gefallen findet, ohne Zustimmung, ja gegen den Willen des höheren. Auf diesen Streit und Krieg spielt der Apostel Paulus an, wenn er sagt, dass das Fleisch gegen den Geist begehrt (Gal 5,17) und dass es ein Gesetz in den Gliedern und ein Gesetz des Geistes gibt (Röm 7,23).
Hast du schon einmal eine große, mit Asche bedeckte Feuerstelle gesehen? Wenn man zehn oder zwölf Stunden später kommt, um Feuer zu holen, findet man nur mit Mühe noch ein wenig Glut unter der Asche, und doch ist noch Feuer da, sonst würde man es ja nicht finden. Damit kann man dann alle erloschenen Kohlen wieder zum Brennen bringen. Der Liebe, dem Leben unserer Seele, ergeht es bei schweren und heftigen Versuchungen wie diesem Feuer. Die Versuchung wirft ihre Lust auf den niederen Seelenbereich, bedeckt scheinbar die ganze Seele mit ihrer Asche und drängt die Liebe zu Gott so sehr zurück, dass sie kaum noch anderswo als in der Mitte des Herzens, im tiefsten Seelengrund erhalten bleibt. Ja, fast möchte man glauben, dass sie auch dort nicht mehr sei, und man findet sie nur mit viel Mühe. Sie ist aber doch da, denn wir sind ja entschlossen, der Sünde und der Versuchung nicht nachzugeben, obwohl Seele und Leib in tiefste Verwirrung geraten sind. Die Lust, die dem äußeren Menschen gefällt, missfällt dem inneren; wenn sie auch unseren Willen ganz umlagert, sie ist doch nicht in ihn eingedrungen. Sie ist somit unfreiwillig und kann daher keine Sünde sein.
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