Die wichtigsten Weisungen gegen die gewöhnlichen Versuchungen
Vierter Teil
     
 

HOME | VORIGES KAPITEL | INHALT | NÄCHSTES KAPITEL

14. Kapitel
Von geistlicher Dürre und Unfruchtbarkeit.

So musst du dich also verhalten, wenn du geistliche Freuden erlebst. Aber diese schöne, wonnige Zeit hält nicht immer an. Es werden Zeiten über dich kommen, wo deine Seele einem einsamen, unfruchtbaren und dürren Land gleicht, in dem es keinen Pfad zu Gott gibt, kein Wasser der Gnade, es zu begießen, wo die Trockenheit alles in Wüste verwandelt. Wie beklagenswert ist doch eine Seele in diesem Zustand, besonders wenn dieses Übel heftig auftritt! Dann mag sie sich wohl gleich David Tag und Nacht von Tränen nähren, während der Feind sie mit tausend verführerischen Einflüsterungen zur Verzweiflung bringen will und sie höhnisch fragt: „Du Arme, wo ist denn dein Gott?“ (Ps 42,4). „Auf welchem Weg wirst du ihn finden? Wer mag dir wohl die heiligen Freuden seiner Gnade wiederbringen?“ – Wie sollst du dich in solchen Zeiten verhalten?

I.

Sieh zunächst, woher das Übel kommt. Oft sind wir nämlich selbst schuld an Dürre und Trockenheit.
1. Wie eine Mutter ihrem Kind den Zucker entzieht, wenn es Würmer hat, so nimmt uns Gott die tröstlichen Gefühle, wenn wir uns darin übermäßig gefallen und der Wurm des Übermuts in uns steckt. „Es ist gut, o Gott, dass Du mich demütigst; denn bevor Du mich gedemütigt, hatte ich Dich beleidigt“ (Ps 119,71 u. 76).
2. Wenn wir die Freuden der Gottesliebe vernachlässigen und sie nicht in uns aufnehmen, solange es Zeit ist, entzieht Gott sie zur Strafe für unsere Trägheit. Die Israeliten, die das Manna nicht frühmorgens sammelten, konnten es nach Sonnenaufgang nicht mehr auflesen, weil es dann schon zerschmolzen war (vgl. Ex 16,21).
3. Wir liegen oft im Bett sinnlicher Befriedigung und vergänglicher Freuden, wie die Braut des Hoheliedes (5,2ff). Der Bräutigam unserer Seele klopft an die Tür unseres Herzens und will uns wecken zu unseren Übungen; wir aber versuchen mit ihm zu unterhandeln und empfinden es unangenehm, auf diese eitlen Vergnügungen zu verzichten, uns von dieser falschen Befriedigung zu trennen. So geht er vorüber und überlässt uns unserem Schicksal. Wenn wir ihn später suchen wollen, haben wir die größte Mühe, ihn zu finden. Wir haben es wohl verdient, da wir so untreu waren, so unehrlich seiner Liebe gegenüber, der wir Irdisches vorgezogen haben. Ihr habt also Mehl aus Ägypten? Nun, dann braucht ihr kein Manna vom Himmel. Sowenig die Bienen künstliche Düfte vertragen können, so wenig vertragen sich die Wonnen des Heiligen Geistes mit den Scheinfreuden der Welt.
4. Doppelzüngigkeit bei der Beichte und geistlichen Aussprache mit dem Seelenführer haben ebenfalls Trockenheit und Dürre zur Folge. Wenn du den Heiligen Geist belügst, darfst du dich nicht wundern, dass er dir seinen Trost verweigert. Du willst nicht einfach und schlicht wie ein Kind sein, also bekommst du auch keinen Zucker, wie man ihn Kindern gibt.
5. Bist du von weltlichen Freuden trunken, so ist es kein Wunder, wenn die geistlichen Freuden dich anekeln. „Satte Tauben“, heißt es im Sprichwort, „finden die Kirschen bitter.“ Unsere liebe Frau sagt: „Er hat die Ausgehungerten mit Gütern überhäuft und die Reichen ließ er leer ausgehen“ (Lk 1,53). Wer satt von weltlichen Vergnügungen ist, ist der geistlichen Freuden nicht fähig.
6. Hast du die Früchte der geistlichen Freuden treu bewahrt, dann wirst du neue dazubekommen, denn wer hat, dem wird noch gegeben, wer aber nicht mehr hat, was man ihm gab, sondern durch eigene Schuld verlor, dem wird man sogar das nehmen, was er nicht hat (vgl. Mt 25,29), d. h. es werden ihm auch die Gnaden entzogen, die ihm zugedacht waren. Der Regen belebt wohl die Pflanzen, solange sie grün sind, den verdorrten aber nimmt er sogar die Möglichkeit, wieder aufzuleben, sie verfaulen ganz und gar.
Aus diesen verschiedenen Gründen verlieren wir die Freude am geistlichen Leben und werden dürren, unfruchtbaren Geistes. Erforschen wir also unser Gewissen, ob wir einen dieser Fehler an uns entdecken. Seien wir dabei aber weder ängstlich noch kleinlich; untersuchen wir einfach unser Verhalten in dieser Hinsicht gründlich. Haben wir die Ursache des Übels in uns entdeckt, dann danken wir Gott, denn das Übel ist schon zur Hälfte geheilt, wenn wir seine Ursache gefunden haben.

II.

Findest du aber nichts Bestimmtes, was diese seelische Dürre verursacht haben mag, dann verliere keine Zeit mit weiterem Forschen im Einzelnen, sondern tu in aller Einfachheit, was ich dir nun sage.
1. Demütige dich tief vor Gott in der Erkenntnis deines Nichts und deines Elends. Mein Gott, was bin ich ohne Dich; was anders, o Herr, als dürres, rissiges, nach Regen lechzendes Erdreich, das in Staub zerfällt und vom Wind verweht wird?
2. Rufe Gott an, bete zu ihm um Freude: „Gib mir zurück, o Herr, Deines Heiles Freude!“ (Ps 51,14). „Mein Vater, wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen“ (Mt 26,39). „Hinweg von mir, ihr unfruchtbaren Winde, die meine Seele austrocknen! Kommt, ihr milden Lüfte der Tröstungen, weht in meinem Garten, dass der Balsamduft guter Empfindungen süßen Wohlgeruch verbreite“ (Hld 4,16).
3. Geh zu deinem Beichtvater, öffne ihm dein Herz, zeig ihm die letzten Falten deiner Seele, nimm mit großer Einfalt und Demut die Ratschläge an, die er dir geben wird. Gott, der den Gehorsam über alles liebt, verleiht oft Kraft den Ratschlägen, besonders solchen, die man vom Seelenführer annimmt, auch wenn sie an sich nicht wertvoll zu sein scheinen. So gab er dem Wasser des Jordan Heilkraft für Naaman, dem Elischa dessen Gebrauch angeordnet hatte, obwohl dies nicht vernünftig schien (2 Kön 5,14).
4. Nach alldem ist aber nichts so nützlich und heilsam zur Zeit der Trockenheit und Dürre, als dass man sich nicht an den Wunsch hängt, davon befreit zu werden. Gewiss darf man es wünschen, aber man darf sich nicht an diesen Wunsch klammern, sondern soll sich einfach und schlicht der liebevollen Vorsehung überlassen. Gott möge sich unser inmitten dieser dornigen Wüste bedienen, solange es ihm gefällt. Sagen wir also in solchen Zeiten zu Gott: „Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen“; fügen wir aber auch mutig hinzu: „doch nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine“ (Mt 26,39; Lk 22,42). Bleiben wir dabei so ruhig, als es uns nur möglich ist. Wenn Gott uns in diesem heiligen Gleichmut sieht, wird er viele Gnaden und Gunsterweise zu unserem Trost schicken, wie er sie Abraham gab, als er ihn entschlossen sah, sich von seinem Kind zu trennen. Er begnügte sich damit, ihn voll Gleichmut in dieser reinen Ergebung zu sehen, und tröstete ihn mit einer lieblichen Erscheinung und seinem wonnevollen Segen (Gen 22,15ff). Ebenso sollen auch wir bei allen Arten körperlicher und geistlicher Leiden, bei Zerstreuungen und beim Verlust fühlbarer Frömmigkeit von ganzem Herzen und mit tiefer Ergebung sagen: „Der Herr hat mir Tröstungen geschenkt, der Herr hat sie genommen; sein heiliger Name sei gepriesen!“ (Ijob 1,21). Wenn wir in dieser Demut verharren, wird er uns seine lieblichen Gunsterweise von neuem schenken, wie dem Patriarchen Ijob, der diese Worte in all seinen Nöten stets wiederholte.
5. Vor allem verliere nicht den Mut in diesen Zeiten der Trockenheit und Unfruchtbarkeit. Geh ruhig deinen Weg weiter und warte geduldig auf die Rückkehr der Tröstungen. Gib deshalb keine Übung der Frömmigkeit auf, ja vermehre womöglich noch deine guten Werke. Kannst du deinem göttlichen Bräutigam nicht saftige Früchte anbieten, so gib ihm gedörrte; ihm gelten sie ebensoviel, wenn nur das Herz, das sie darbringt, völlig entschlossen ist, ihn zu lieben.
Wenn der Frühling schön ist, verlegen sich die Bienen mehr auf das Honigsammeln als auf die Brut; das schöne Wetter lockt sie, emsig von Blume zu Blume zu fliegen, um Honig einzuheimsen, so dass sie sich weniger um ihre Nachkommenschaft kümmern. Ist aber der Frühling rauh und neblig, dass sie nicht ausschwärmen können, um Honig zu sammeln, dann beschäftigen sie sich mehr mit der Vermehrung des Volkes. So geschieht es auch oft, dass die Seele im lieblichen Lenz geistlicher Tröstungen ganz darin aufgeht, diese zu sammeln und sich an ihnen zu ergötzen, so dass sie bei der Fülle dieser wonnigen Freuden weniger gute Werke hervorbringt. Wird der Geist aber von Raureif oder Dürre heimgesucht, dann vervielfältigt die Seele die Werke echter Frömmigkeit in dem Maß, als sie sich der angenehmen Gefühle beraubt sieht, und in reicher Fülle blühen ihr die echten Tugenden auf: Geduld, Demut, Selbstverleugnung und Entsagung.
Es ist also ein großer Irrtum, dem vor allem Frauen verfallen, zu meinen, dass unser Dienst am Werk Gottes seiner göttlichen Majestät weniger angenehm sei, wenn er ohne Geschmack, Herzensbefriedigung und Gefühl geleistet wird. lm Gegenteil, unsere Handlungen gleichen den Rosen, die wohl in ihrer Blüte schöner anzuschauen sind, getrocknet aber süßer und stärker duften. Ebenso ist es mit unseren Werken: wenn wir sie mit zärtlichen Herzensempfindungen verrichten, sind sie uns angenehmer; uns, sage ich, die wir auf unsere eigene Befriedigung schauen; werden sie aber in Trockenheit und Dürre verrichtet, so haben sie mehr Duft und Wert vor Gott. Ja, zur Zeit der Dürre drängt uns der Wille sozusagen gewaltsam zum Dienst Gottes, muss also kräftiger und nachhaltiger sein als zu Zeiten geistlicher Freude. Es ist keine Kunst, dem Fürsten in der Ruhe friedlicher Zeiten und in den Annehmlichkeiten des Hoflebens zu dienen; ihm dagegen in rauer Kriegszeit, bei Unruhen und Rückschlägen dienen, das ist echter Mut und echte Treue.
Die selige Angela von Foligno sagt, das größte Wohlgefallen hat Gott am Gebet, zu dem wir uns zwingen und Gewalt antun müssen. Das ist ein Beten nicht nach Lust und Neigung, sondern rein um Gottes willen. Unser Wille bezwingt und überwältigt dabei Dürre und Widerwillen, die ihm widerstreben, und heißt uns auch gegen unser Gefühl beten.
So ist es auch mit allen guten Werken. Je mehr äußeren und inneren Widerständen wir dabei begegnen, desto mehr achtet und schätzt sie Gott. Je weniger Eigeninteresse wir im Tugendstreben haben, desto mehr leuchtet daraus die reine Gottesliebe. Ein Kind wird gern seine Mutter herzen, wenn sie ihm Zucker gibt; es ist aber sicher ein Zeichen größerer Liebe, wenn es die Mutter auch küsst, nachdem sie ihm Wermut oder Bittersaft gab.

HOME | VORIGES KAPITEL | INHALT | NÄCHSTES KAPITEL

NACH OBEN