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1. Kapitel
Alljährliche Erneuerung der guten Vorsätze.
Vor allem gilt es, die Wichtigkeit dieser Erneuerung zu erkennen. Die menschliche Natur sinkt infolge der Schwäche und der schlechten Neigungen des Fleisches leicht von der Höhe ihrer guten Empfindungen herab; das Fleisch beschwert die Seele und zieht nach unten, wenn sie sich nicht immer wieder durch kräftige Vorsätze aufschwingt. So fallen auch die Vögel zu Boden, wenn sie nicht ständig die Schwingen bewegen. Deshalb musst du oft deinen Entschluss erneuern, Gott zu dienen, sonst fällst du in den früheren Zustand zurück oder noch tiefer (vgl. Lk 11,26). Das ist ja das Eigenartige im geistlichen Leben: wenn wir abzugleiten beginnen, fallen wir gewöhnlich tiefer als bis zu dem Zustand, von dem wir zur Frömmigkeit aufgestiegen sind.
Es gibt keine noch so gute Uhr, die man nicht täglich aufziehen müsste. Außerdem muss man sie wenigstens einmal im Jahr zerlegen, den Rost entfernen, verbogene Teile geradebiegen, abgenützte erneuern. So muss auch jeder, der für seine Seele Sorge trägt, sie am Morgen und am Abend durch die beschriebenen Übungen zu Gott erheben, außerdem oft ihren Zustand überprüfen, um sie wieder aufzurichten und instand zu setzen. Darüber hinaus muss er sie jedes Jahr gleichsam auseinander nehmen, d. h. die Empfindungen und Leidenschaften einzeln prüfen und die Fehler verbessern, die etwa vorliegen. Der Uhrmacher ölt die Räder, die Federn und alle beweglichen Teile der Uhr, damit sie lautlos gehen und nicht so leicht rosten. Ebenso muss der fromme Mensch nach einer genauen Prüfung seinem Herzen durch die Sakramente der Buße und des Altares die heilige Salbung geben. Diese Übung wird die im Lauf der Zeit erschlafften Kräfte wieder herstellen, das Herz erwärmen, gute Empfindungen wecken und die Tugenden zur Blüte bringen.
Die alten Christen pflegten diese Erneuerung mit großer Sorgfalt am Jahrestag der Taufe des Herrn vorzunehmen; nach dem Bericht des hl. Gregor von Nazianz erneuerten sie an diesem Tag ihr Taufgelübde. Tun wir desgleichen, bereiten wir uns eifrig darauf vor und erneuern wir es mit allem Ernst.
Wähle also nach dem Rat deines geistlichen Vaters dafür eine geeignete Zeit, ziehe dich ein wenig in die geistige oder wirkliche Einsamkeit zurück, dann halte eine oder zwei Betrachtungen über die folgenden Punkte nach der Methode, die ich dir im zweiten Teil angegeben habe.
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