Übungen und Ratschläge, um die Seele zu erneuern und in der Frömmigkeit zu festigen
Fünfter Teil
     
 

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7. Kapitel
Prüfung der Seele über die Affekte.

Diese Punkte habe ich so breit ausgeführt, weil wir durch diese Prüfung unseren geistlichen Fortschritt erkennen. Denn auf die Sünden beschränken jene ihre Gewissenserforschung, die an einen seelischen Aufstieg nicht denken.
Man darf sich aber trotzdem nicht abquälen mit jeder einzelnen dieser Fragen, sondern soll nur ruhig prüfen und erwägen, wie unser Herz in diesen Punkten seit unserer Bekehrung gesinnt war und welche bedeutenden Fehler wir darin begangen haben.
Wollen wir aber das Ganze kürzer fassen, dann müssen wir unsere Erforschung auf die Prüfung unserer Leidenschaften richten. Ist es uns beschwerlich, alles im einzelnen zu erwägen, wie ich vorgeschlagen habe, dann können wir auch prüfen, wie wir gesinnt waren und uns verhalten haben:
in unserer Liebe zu Gott, zum Nächsten, zu uns selbst;
in unserem Hass gegen die eigenen Sünden und gegen die Sünden anderer; denn wir müssen die Ausrottung aller Sünden wünschen;
in unseren Wünschen nach zeitlichen Gütern, nach Vergnügungen und Ehren;
in der Furcht vor der Gefahr der Sünde und des Verlustes zeitlicher Güter; man fürchtet ja meist das zweite zu viel und das erste zu wenig;
in der Hoffnung, die man zu sehr auf die Welt und die Geschöpfe setzt und zu wenig auf die ewigen Dinge und auf Gott;
in der Traurigkeit, ob sie wegen nichtiger Dinge zu groß war;
in der Freude, ob sie übertrieben war und unwürdigen Dingen galt.
Schließlich: Welche Anhänglichkeiten hemmen dein Herz, welche Leidenschaften nehmen es ein? Worin ist es besonders entgleist? Man erkennt den Zustand der Seele an den Leidenschaften, indem man sie der Reihe nach abtastet. Ein Lautenspieler zupft an allen Saiten und stimmt die falsch klingenden richtig, indem er sie entweder spannt oder nachlässt. So prüfen wir nacheinander die Liebe, den Hass, die Wünsche, die Furcht, die Hoffnung, die Traurigkeit und die Freude unserer Seele: Stimmen sie nicht gut zur Melodie, die wir spielen wollen, d. h. zur Ehre Gottes, dann können wir sie mit seiner Gnade und nach dem Rat unseres geistlichen Vaters darauf abstimmen, damit sie harmonisch zusammenklingen.

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