Anweisungen und Übungen, um den ersten Wunsch nach einem frommen Leben in einen festen Entschluss umzuwandeln
Erster Teil
     
 

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7. Kapitel
Zweite Reinigung: von der Anhänglichkeit an die Sünde.

Als die Israeliten Ägypten verließen, waren nicht alle mit dem Herzen dabei. Deshalb trauerten viele von ihnen in der Wüste dem Fleisch und den Zwiebeln nach, die sie in Ägypten reichlich genossen hatten (Num 11,4.5). So gibt es auch viele Menschen, die sich nach außen von der Sünde abwenden, nicht aber innerlich. Sie wollen zwar nicht mehr sündigen, bedauern aber, dass sie den unseligen Genüssen der Sünde entsagen müssen. Sie verzichten auf die Sünde und entfernen sich von ihr, können aber nicht unterlassen, manchmal nach ihr umzuschauen, wie Lots Frau nach Sodom (Gen 19,26). Sie enthalten sich der Sünde, wie die Kranken der Melonen; der Arzt drohte, sie müssten daran sterben, deshalb essen sie nicht davon; aber sie jammern, weil sie darauf verzichten müssen, sie reden immer wieder davon, sie verhandeln, ob man sie nicht versuchen könnte, sie möchten wenigstens daran riechen und preisen jene glücklich, die sie essen dürfen.
So machen es auch schwache, unentschlossene Menschen; sie meiden zwar die Sünde, aber mit Bedauern. Sie möchten gern sündigen, wenn sie deswegen nicht verdammt würden. Sie reden gern voll Behagen von der Sünde und beneiden die Sünder.
Da ist ein rachsüchtiger Mensch. In der Beichte verzichtet er wohl darauf, sich zu rächen; wenig später erzählt er unter Freunden mit Behagen von seinem Streit: Wäre er nicht gottesfürchtig, dann hätte er es seinem Widersacher schon gezeigt! Das göttliche Gebot, seinen Feinden zu verzeihen, sei schon schwer; wie schön wäre es, wenn es erlaubt wäre, sich an ihnen zu rächen ... Wer sieht nicht, dass dieser arme Mann zwar nicht gerade die Sünde begeht, aber ganz verstrickt ist in der Liebe zur Sünde? Er hat Ägypten dem Leibe, nicht aber dem Herzen nach verlassen, denn er sehnt sich nach dem Knoblauch und den Zwiebeln zurück. Damit gleicht er einer Frau, die wohl sündhafter Liebe entsagt hat, sich aber freut, wenn man ihr den Hof macht. – In welcher Gefahr befinden sich doch solche Menschen!
Du willst ein frommes Leben führen. Daher musst du nicht nur von der Sünde lassen, sondern auch aus deinem Herzen alle Bindungen zur Sünde entfernen. Die erbärmlichen Anhänglichkeiten setzen dich nicht nur der Gefahr aus, wieder in Sünde zu fallen, sie schwächen außerdem dauernd deinen Willen und hemmen ihn so sehr, dass er nicht fähig ist, das Gute rasch, sorgfältig und häufig zu tun; darin aber besteht doch das Wesen der Frömmigkeit.
Menschen, die den Zustand der Sünde verlassen haben, aber noch diesen Anhänglichkeiten und Schwächen unterworfen sind, kommen mir vor wie bleichsüchtige Mädchen: Sie sind nicht krank, aber ihr ganzes Gehabe kränkelt; sie essen ohne Appetit, schlafen, ohne auszuruhen, lachen ohne Freude; statt zu gehen, schleichen sie förmlich dahin. Auch diese Menschen tun das Gute in einer Art geistiger Müdigkeit; damit nehmen sie ihren guten Werken alle Anmut, sie bringen überhaupt nur wenige und noch weniger wirksame zustande.

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