Anweisungen und Übungen, um den ersten Wunsch nach einem frommen Leben in einen festen Entschluss umzuwandeln
Erster Teil
     
 

HOME | VORIGES KAPITEL | INHALT | NÄCHSTES KAPITEL

4. Kapitel
Für den Beginn des frommen Lebens und dessen Fortschritt
ist ein Seelenführer notwendig.

Der junge Tobias erhielt von seinem Vater den Auftrag, nach Rages zu gehen; er wandte ein, dass er den Weg nicht kenne. „Geh also“, sagte der Vater, „und suche dir einen Führer“ (Tob 5,2ff). Ich sage dir dasselbe: Willst du dich mit Vorbedacht auf den Weg der Frömmigkeit begeben, so suche dir einen vortrefflichen Mann als Führer und Berater. Das ist der dringlichste Rat, den ich dir geben kann. Was du auch suchst, sagt der fromme Avila, du wirst den Willen Gottes nirgends so sicher finden als auf dem Weg demütigen Gehorsams, den einst alle Frommen geübt und sehr empfohlen haben.
Die hl. Theresia bewunderte die strengen Bußübungen einer Katharina von Cordona und wollte es ihr gleichtun. Der Beichtvater verbot es ihr, sie war aber versucht, ihm darin nicht zu gehorchen. Da sprach Gott zu ihr: „Meine Tochter, du hast einen guten und sicheren Weg. Siehst du auf ihre Bußübungen? Ich liebe mehr deinen Gehorsam.“ Von da an liebte sie den Gehorsam so sehr, dass sie außer dem pflichtmäßigen Gehorsam gegen ihre Oberen noch einem vortrefflichen Priester Gehorsam gelobte und sich verpflichtete, seiner Führung und Leitung zu folgen; dies brachte ihr sehr viel geistliche Freude ein. Vor und nach ihr haben viele fromme Menschen ihren Willen einem Diener Gottes unterstellt, um sich dadurch besser dem heiligen Willen Gottes zu unterwerfen. Die hl. Katharina von Siena hebt das in ihren Zwiegesprächen lobend hervor. Die heilige Fürstin Elisabeth leistete dem Meister Konrad unbedingten Gehorsam, der große hl. Ludwig gab vor dem Tod seinem Sohn unter anderem diesen Rat: „Geh oft zur heiligen Beichte, suche dir einen geeigneten, klugen Beichtvater, der dich mit Sicherheit in den Dingen unterweisen kann, die dir notwendig sind.“
„Ein treuer Freund“, sagt die Heilige Schrift, „ist ein starker Schutz; wer ihn findet, hat einen Schatz gefunden. Ein treuer Freund ist ein Balsam für das Leben und für die Unsterblichkeit; wer Gott fürchtet, findet ihn“ (Sir 6,14ff). Du siehst, wie diese Worte vor allem die Unsterblichkeit betreffen, für die wir einen treuen Freund brauchen. Durch seine Ratschläge und Weisungen leitet er unseren Wandel und schützt uns vor den Nachstellungen und Verführungen des bösen Feindes. Er wird uns ein Born der Weisheit in unseren Schwierigkeiten sein, wenn wir niedergeschlagen oder gefallen sind. Er wird uns Arznei sein, um das Herz in seinen seelischen Nöten aufzurichten und zu trösten. Er wird uns vor dem Übel bewahren und das Wohl unserer Seele fördern. Befällt uns eine Schwäche, so wird er verhindern, dass sie zum Tod führe, und wird uns wieder aufhelfen.
Wer aber wird diesen Freund finden? Der Weise antwortet: „Wer Gott fürchtet“, das heißt der Demütige, der durchdrungen ist von der Sehnsucht nach geistlichem Fortschritt. Da ein guter Führer auf dem Weg der Vollkommenheit so wichtig ist, bete inständig zu Gott, dass er dir einen nach seinem Herzen schenke. Sei versichert: müsste Gott dir auch einen Engel vom Himmel schicken wie dem jungen Tobias, er wird dir einen guten und treuen Führer geben.
Er soll dir aber wirklich wie ein Engel sein; das heißt: hast du ihn gefunden, so betrachte ihn nicht als gewöhnlichen Menschen; setze dein Vertrauen nicht auf seine Person noch auf sein menschliches Wissen, sondern auf Gott. Er wird dir seine Gunst erweisen und durch diesen Menschen zu dir sprechen, ihm das in Herz und Mund legen, was deinem Glück dient. Deshalb musst du auf ihn wie auf einen Engel hören, der vom Himmel herabgestiegen ist, um dich emporzuführen. Sprich mit ihm ganz offen, aufrichtig und einfach. Zeige ihm mit aller Klarheit das Gute wie das Böse an dir, ohne etwas zu verschleiern oder zu verheimlichen. So wird das Gute in dir erprobt und gefestigt, das Schlechte gebessert und geheilt. In Schwierigkeiten wirst du Erleichterung finden; wenn geistliche Freude dich erfüllt, wird er dich Maß und Ordnung halten lehren.
Bring ihm großes Vertrauen entgegen, verbunden mit heiliger Ehrfurcht, so dass die Ehrfurcht nicht das Vertrauen mindert, das Vertrauen dagegen die Ehrfurcht nicht verhindert. Vertrau dich ihm an mit der Ehrfurcht einer Tochter vor dem Vater; verehre ihn mit dem Vertrauen eines Sohnes zur Mutter. Mit einem Wort: diese Freundschaft soll ganz stark, aber milde sein, ganz heilig, göttlich und geistig.
„Suche dafür einen aus tausend“, sagt Avila. Und ich sage: einen aus zehntausend! Denn es finden sich weniger, die für diese Aufgabe geeignet sind, als man glauben möchte. Er soll voll Liebe, Wissenschaft und Klugheit sein. Fehlt eine dieser Eigenschaften, so bist du in Gefahr. Aber ich wiederhole: Bitte Gott darum, und hast du ihn gefunden, so danke der Majestät Gottes. Bleib bei ihm und suche nicht nach einem anderen. Wandle vertrauensvoll in aller Einfalt und Demut. Dann wird deine Reise glücklich sein.

 

HOME | VORIGES KAPITEL | INHALT | NÄCHSTES KAPITEL

NACH OBEN