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4. Kapitel
Demut in der äußeren Haltung.
Elischa sagte zu einer Witwe: „Leih dir viele leere Gefäße und gieße Öl hinein“ (2 Kön 4,3). Um die Gnade Gottes in unser Herz aufnehmen zu können, darf dieses nicht voll von uns selbst sein. Der Turmfalke schreckt die Raubvögel durch seinen Schrei und seinen Blick; deshalb lieben ihn die Tauben vor allen anderen Vögeln und nisten in seiner Nähe in Sicherheit. So vertreibt auch die Demut den Teufel und bewahrt in uns die Gnaden und Gaben des Heiligen Geistes. Deshalb haben auch die Heiligen, besonders aber der König aller Heiligen und seine gebenedeite Mutter diese erhabene Tugend mehr als alle anderen sittlichen Tugenden geschätzt und geliebt.
Eitlen Ruhm nennen wir, wenn man sich etwas einbildet auf eine Sache, die nicht in uns ist, oder wenn in uns, dann nicht unser Eigen, oder wenn in uns und unser Eigentum, dann unwert, dass man sich ihrer rühme. Adelige Geburt, Fürstengunst, Volksgunst sind Dinge, die nicht an uns liegen, sondern an unseren Vorfahren oder in der Meinung anderer. Manche sind stolz und eingebildet, weil sie ein schönes Pferd reiten, weil sie eine Feder auf ihrem Hut tragen oder prunkvoll gekleidet sind. Was für ein Unsinn! Wenn darin ein Ruhm liegt, dann steht er dem Pferd zu, dem Vogel oder dem Schneider. Wie kläglich, seine Ehre von einem Pferd, einer Feder oder einem Stück Tuch herzuleiten! – Andere brüsten und zieren sich wegen eines aufgezwirbelten Schnurrbartes, eines gepflegten Bartes, wegen ihrer gekräuselten Haare oder zarten Hände, oder weil sie tanzen, spielen, singen können. Wie armselig, sich auf so verrückte und kindische Dinge etwas einzubilden und sich ihretwegen für etwas Besonderes zu halten! – Wieder andere wollen für ein wenig Wissen geehrt und geschätzt sein; alle sollen von ihnen lernen und sie als ihre Meister betrachten; man nennt sie deshalb auch Pedanten. – Andere stolzieren daher wie Pfaue und meinen, jeder müsste ihrer Schönheit wegen ihnen den Hof machen. All das ist außerordentlich eitel, dumm und anmaßend; demnach heißt auch der Ruhm, den man von diesen nichtigen Dingen ableitet, eitel, dumm und leichtfertig.
Echten Wert erkennt man wie echten Balsam. Man prüft den Balsam, indem man ihn ins Wasser tropfen lässt; sinkt er unter und bleibt am Boden, so gilt er als besonders fein und kostbar. Will man erkennen, ob ein Mensch wirklich weise, gelehrt, hochherzig und edel ist, dann muss man prüfen, ob diese Eigenschaften mit Demut, Bescheidenheit und Duldsamkeit gepaart sind, denn dann sind sie echte Werte. Wenn sie aber obenauf schwimmen, wenn sie zur Schau gestellt sein wollen, dann werden sie umso weniger echte Werte sein, je mehr sie scheinen wollen. Perlen, die im Brausen des Sturmes und unter dem Krachen des Donners entstehen, sind hohl und haben nur eine schöne Schale aber keinen Kern. So haben auch die guten Eigenschaften und Tugenden der Menschen nur den Schein des Guten ohne Mark, Saft und Kraft, wenn sie unter Hochmut, Prahlerei und Eitelkeit entstehen und wachsen.
Ehre und Würde sind dem Safran vergleichbar; er gedeiht kräftig und entwickelt sich üppig, wenn er mit Füßen getreten wird. Es ist keine Ehre, schön zu sein, wenn man sich damit brüstet; soll Schönheit angenehm wirken, dann darf sie nicht zur Schau getragen werden. Wissen entwürdigt, wenn es sich aufbläht und in Schulmeisterei entartet. Wer auf seinen Rang, auf seine Stellung und seinen Titel erpicht ist, setzt seine Forderungen genauester Prüfung und Kritik aus, macht sich verächtlich und gemein. So schön die Ehre ist, wenn sie uns als Geschenk zufällt, so hässlich wird sie, wenn man sich um sie bemüht, nach ihr verlangt und sie fordert. Wenn der Pfau sein Rad schlägt und die Federn spreizt, enthüllt er zugleich das Niedrigste. Die Blumen blühen, solange sie im Boden wurzeln; in der Hand verwelken sie. Die Alraune duftet lieblich von weitem; kommt man ihr aber nahe, dann wird man von ihrem Geruch betäubt und krank. So erfreut auch eine Ehrung, wenn man sie nur von weitem gewahrt, ohne sich dabei aufzuhalten oder um sie besorgt zu sein; hängt man aber an ihr, bläht man sich damit auf, dann wird sie hässlich und widerlich.
Das Streben nach Tugend und die Liebe zu ihr machen uns allmählich selbst tugendhaft; das Streben nach Ehre und die Anhänglichkeit daran machen uns verächtlich und lächerlich. Vernünftige Menschen befassen sich nicht mit all dem kindischen Getue von Rangstufen, Ehren und Titeln. Sie haben anderes zu tun und überlassen das den Nichtstuern. Wer Perlen haben kann, behängt sich nicht mit Muscheln; wer nach Tugend strebt, kümmert sich nicht um äußere Ehren.
Gewiss kann jeder, ohne die Demut zu verletzen, seinen Rang einnehmen und behalten, wenn er darauf kein besonderes Gewicht legt und nicht deswegen einen Streit anfängt. Die Geschäftsleute bringen aus Peru Gold und Silber mit, aber auch Affen und Papageien; sie kosten nicht viel und belasten das Schiff kaum. So nehmen auch Menschen, die nach Tugend streben, Rang und Ehren an, die ihnen zustehen, wenn sie darauf nicht viel Sorge und Aufmerksamkeit verwenden müssen, wenn es weder Unruhe, Aufregung noch Streit verursacht. Ich meine damit freilich nicht Persönlichkeiten, deren Würde die Öffentlichkeit betrifft, noch bestimmte Fälle, die wichtige Folgen haben können; dann muss man freilich auf dem bestehen, was einem gebührt, aber mit Klugheit und Takt, gepaart mit Liebe und Höflichkeit.
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