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17. Kapitel
Schlechte und leichtfertige Freundschaften.
Die Liebe ist die höchste unter den Fähigkeiten der Seele; sie ist die Königin aller Herzensregungen; sie zieht alles an sich und macht uns dem gleich, was wir lieben (Hos 9,10). Bemühe dich also, nichts Schlechtes zu lieben, denn dann würdest du bald ganz schlecht sein. Die Freundschaft aber ist die allergefährlichste Liebe: Jede andere kann der Mitteilung entraten, die Freundschaft beruht aber gerade auf ihr; man kann also fast keine Freundschaft mit anderen haben, ohne an ihren Eigenschaften teilzunehmen.
Nicht jede Liebe ist Freundschaft. Erstens kann man lieben, ohne wieder geliebt zu werden; das ist dann Liebe, nicht aber Freundschaft, die in der gegenseitigen Liebe besteht. Ohne Liebe von beiden Seiten gibt es keine Freundschaft. Zweitens müssen sich die Liebenden dieser gegenseitigen Liebe bewusst sein; wüssten sie nicht, dass ihr Gefühl erwidert wird, so wäre dies wieder nur Liebe und keine Freundschaft. Drittens muss irgendeine Art der Mitteilung zwischen ihnen bestehen als eigentliche Grundlage der Freundschaft.
Je nach den verschiedenen Gütern, die man einander mitteilt, ist auch die Freundschaft verschieden zu beurteilen. Sind es falsche und nichtige Güter, dann ist auch die Freundschaft falsch und nichtig; sind es echte Werte, dann ist auch die Freundschaft echt; und je wertvoller die Güter, umso höher steht die Freundschaft. Wie der Honig aus den Blütenkelchen der edelsten Blumen der beste ist, so steht auch die Liebe am höchsten, die auf der Mitteilung der edelsten Güter beruht. Zu Heraklea im Pontus gibt es einen giftigen Honig, der alle irrsinnig macht, die von ihm essen, weil er aus den Blüten des dort sehr verbreiteten Eisenhutes gewonnen wird. So ist auch die Freundschaft falsch und giftig, wenn sie auf der Mitteilung falscher und lasterhafter Güter beruht.
Die Mitteilung fleischlicher Wollust ist nichts als tierischer Trieb zueinander, der ebenso wenig bei den Menschen Freundschaft genannt werden kann wie der Trieb bei Eseln und Pferden. Gäbe es in der Ehe nichts anderes als dies, so könnte man sie nicht Freundschaft nennen. Weil sie aber außerdem eine Lebens-, Arbeits-, Liebes- und unauflösliche Treuegemeinschaft ist, deshalb ist die eheliche Gemeinschaft eine wahre und heilige Freundschaft.
Freundschaft, die auf der Mitteilung sinnlicher Freuden beruht, ist etwas ganz Rohes und verdient den Namen Freundschaft ebenso wenig wie eine, die auf gemeinen und nichtigen Eigenschaften beruht, weil auch sie von den Sinnen abhängen. Sinnliche Freuden nenne ich solche, die unmittelbar und in erster Linie die äußeren Sinne betreffen, wie das Vergnügen, etwas Schönes zu sehen, eine angenehme Stimme zu hören, etwas zu berühren usw. Gemeine Eigenschaften nenne ich bestimmte Fähigkeiten, die von kleinen Geistern für Vollkommenheiten gehalten werden. Hört nur einmal die Mehrzahl der Mädchen, Frauen und jungen Leute an, die sich nicht scheuen, einen Kavalier vollkommen zu nennen, bloß weil er gut tanzt, in allen Spielen bewandert ist, sich gut kleidet, schön singt, zu schmeicheln versteht und elegant aussieht. Die Komödianten halten den unter sich für den Tüchtigsten, der die tollsten Possen reißt. – Das alles betrifft nur die Sinne, deshalb nennt man auch eine Freundschaft, die darauf beruht, eine sinnliche, eitle und gemeine. Sie verdient eher, Verrücktheit genannt zu werden als Freundschaft. So sind die Freundschaften junger Leute, die sich in einen Schnurrbart, in gekräuselte Haare, zärtliche Blicke, schöne Kleider, in geckenhaftes Gebaren oder leeres Geschwätz verlieben. Wahrlich Freundschaften, würdig eines jugendlichen Alters, in dem Tugend und Urteil kaum knospen! Daher sind diese Freundschaften nur kurzlebig und vergehen wie der Schnee in der Sonne.
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