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21. Kapitel
Weisungen und Heilmittel gegen schlechte Freundschaften.
Welche Mittel aber gibt es gegen diese wimmelnde Brut von verrückten Liebschaften und unsauberen Narreteien?
Sobald du die ersten Anzeichen davon feststellst, eile voll Abscheu über diese Eitelkeit auf dem entgegengesetzten Weg zum Heiland am Kreuz und umwinde dein Herz mit seiner Dornenkrone, damit die kleinen Füchse es nicht erreichen können (vgl. Hld 2,15).
Lass dich auf keinerlei Verhandlungen mit diesem Feind ein. Sag nicht, „Ich will ihn anhören, werde aber nicht tun, was er von mir will; ich werde ihm das Ohr leihen, das Herz aber verschließen.“ Mein Kind, sei um Himmels willen in diesen Dingen ganz streng! Herz und Ohr halten zusammen. Wie es unmöglich ist, einen Sturzbach aufzuhalten, der einen Berghang herunterschießt, ebenso schwer ist es zu verhindern, dass eine Liebe, die das Ohr berührt hat, nicht auch bis zum Herzen vordringt. Nach Alkmeon atmen die Ziegen durch die Ohren, nicht durch die Nase; Aristoteles bestreitet dies. Sicher ist jedenfalls, dass unser Herz durch das Ohr atmet; wie es seine Gedanken durch die Zunge ausatmet, so atmet es durch das Ohr die Gedanken anderer ein. Hüten wir also unsere Ohren sorgfältig vor dem Pesthauch törichter Worte, sonst wird er gar bald unser Herz vergiften. Höre nie auf irgendeinen unsauberen Antrag, unter welchem Vorwand auch immer; in diesem einzigen Fall ist es erlaubt, unhöflich und grob zu sein.
Denke daran, dass du dein Herz Gott geweiht hast. Da du ihm deine Liebe geschenkt hast, wäre es ein Gottesraub, sie ihm auch nur durch einen Gedanken zu entziehen. Weihe es ihm vielmehr von neuem durch wiederholte Entschlüsse und Beteuerungen. Verbirg dich in ihnen, wie der Hirsch in seiner Waldfestung. Rufe Gott an, er wird dir helfen; seine Liebe wird die deine unter ihren Schutz nehmen, damit sie ganz allein für ihn lebe.
Bist du aber schon in die Netze solch unsinniger Liebschaften geraten, – o Gott, wie schwer wird es sein, dich daraus zu befreien! Tritt vor Gottes Majestät hin und erkenne vor seinem Angesicht die Größe deiner Erbärmlichkeit, Schwäche und Nichtigkeit. Dann verabscheue diese Liebeleien, soviel du vermagst, aus ganzem Herzen, strebe aus dem unwürdigen Zustand fort, in den du durch sie geraten bist, verzichte auf alle Versprechungen, die du erhalten hast. Dann festige dein Herz durch einen starken, bedingungslosen Entschluss, dich niemals wieder in solche Liebeleien einzulassen.
Kannst du dich vom Gegenstand deiner Liebe entfernen, dann tu es; ich kann dir dazu nur dringend raten. Wer von einer Schlange gebissen wurde, kann nicht leicht in Gegenwart von Leuten geheilt werden, denen das gleiche geschehen ist. So wird auch ein Mensch, der von solcher Liebe verwundet ist, schwerlich von dieser Leidenschaft gesunden, solange er mit der gleicherweise verliebten Person beisammen ist. Eine Ortsveränderung trägt hier sehr viel dazu bei, alle Unruhe und Hitze der leidenschaftlichen Liebe zu lindern. Ambrosius spricht im zweiten Buch seiner Schrift über die Buße von einem Burschen, der nach einer langen Reise völlig geheilt von seinen verrückten Liebschaften und ganz verändert heimkam. Als ihm seine frühere Geliebte begegnete und ihn fragte: „Kennst du mich nicht mehr? Ich bin noch die gleiche“, da antwortete er: „Ja, aber ich bin nicht mehr derselbe.“ So sehr war er während der Trennung ein anderer geworden. Der hl. Augustinus bekennt, dass er nach Karthago übersiedelte, um den großen Schmerz über den Tod seines Freundes zu mildern, der in Tagaste gestorben war.
Was aber soll jener tun, dem eine Trennung unmöglich ist? Er muss jedes gewollte Zusammentreffen, jede heimliche Unterhaltung, jedes Liebäugeln und Zulächeln, überhaupt jede Art der Mitteilung und Lockung unbedingt vermeiden, die dieses unlautere und rauchende Feuer nähren könnte. Ist man aber gezwungen, mit dem Partner zu reden, dann geschehe es nur, um freimütig, klar und unerbittlich den Entschluss zu bekunden, für immer Schluss zu machen. Jedem, der in diesem Netz der Liebelei gefangen ist, möchte ich laut zurufen: Schneide, hacke ab, zerreiße! Du darfst dich nicht dabei aufhalten, diese verrückten Freundschaften allmählich aufzulösen, du musst sie zerreißen; du darfst nicht versuchen, die Knoten zu entwirren, sondern musst die Stricke mit einem Hieb zerschneiden, denn sie taugen nichts. Es hat keinen Sinn, schonend mit einer Liebe umzugehen, die der Gottesliebe so entgegengesetzt ist.
Wenn ich die Ketten dieser schmählichen Sklaverei zerbrochen habe, werden mir dann nicht schmerzliche Empfindungen zurückbleiben? Werden nicht die Narben des Eisens an meinen Füßen sichtbar bleiben, d. h. werden nicht die seelischen Fesseln ihre Spuren hinterlassen? Nein, sie werden es nicht, wenn du den nötigen Abscheu vor dem Übel hast. Ist dies der Fall, dann wird dir keine andere Empfindung bleiben als ein tiefinnerliches Erschaudern vor dieser niedrigen Liebe und allem, was mit ihr zusammenhängt, und du wirst von jeder Anhänglichkeit daran frei sein; in dir wird nur die ganz reine Liebe zu Gott bleiben.
Sollten aber wegen der Unvollkommenheit deiner Reue noch schlechte Neigungen zurückbleiben, dann verschaffe deiner Seele die geistige Einsamkeit, von der ich früher gesprochen habe; zieh dich dorthin zurück und entsage diesen Neigungen durch stets erneute Anrufungen und Herzensgebete, verleugne sie aus allen Kräften, lies mehr als gewöhnlich in der Heiligen Schrift, beichte öfter als sonst, empfange die heilige Kommunion, sprich dich womöglich bei deinem Seelenführer schlicht und demütig über alle Gedanken und Versuchungen in dieser Hinsicht aus oder wenigstens bei einem treuen und klugen Freund. Zweifle nicht daran, dass Gott dich von allen Leidenschaften befreien wird, wenn du nur treu in diesen Übungen beharrst.
Aber, wirst du mir entgegnen, ist das nicht undankbar, eine Freundschaft so hart abzubrechen? O selige Undankbarkeit, die uns Gott wohlgefällig macht! Nein, bei Gott, nein! Es ist keine Undankbarkeit, sondern eine große Wohltat, die du dem geliebten Menschen erweist, denn mit deinen Ketten zerbrichst du auch die seinen; sie waren euch ja gemeinsam. Wenn er auch nicht sofort einsieht, dass es so für ihn gut war, später wird er es wohl erkennen und dann mit dir Gott danken: „Herr, Du hast meine Ketten zerbrochen, ich will Dir ein Lobopfer darbringen und Deinen heiligen Namen anrufen“ (Ps 115,7).
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