Verschiedene Weisungen über die Übung der Tugenden
Dritter Teil
     
 

HOME | VORIGES KAPITEL | INHALT | NÄCHSTES KAPITEL

22. Kapitel
Weitere Ratschläge über die Freundschaft.

Die Freundschaft setzt eine enge Verbundenheit und Gemeinsamkeit zwischen den Freunden voraus, sonst kann sie weder entstehen noch bestehen. Darum geschieht es auch oft, dass mit der Freundschaft noch anderes gegenseitig mitgeteilt wird, dass unmerklich gewisse Neigungen, Wünsche, Ansichten von Herz zu Herz überspringen oder sich einschleichen. Das trifft besonders dann zu, wenn wir unseren Freund sehr hochschätzen; denn dann öffnen wir unser Herz so sehr seiner Freundschaft, dass wir mit ihr zugleich alle seine Neigungen und Ansichten, gute oder schlechte, aufnehmen. Gewiss suchen die Bienen, die den Honig von Heraklea sammeln, nur den Honig, aber mit ihm saugen sie unmerklich aus der Blüte des Eisenhutes auch sein Gift ein. Also musst du das Wort wohl beherzigen, das der Heiland unserer Seele zu sagen pflegte, wie wir von den Alten (Klemens von Alexandrien, Origenes u. a.) wissen: „Seid gute Wechsler“, d. h. nehmt nicht schlechtes Geld für gutes, nicht minderwertiges für Feingold. Trennt darum das Wertvolle vom Wertlosen (vgl. Jer 15,19), denn es gibt wohl keinen, der nicht irgendwelche Unvollkommenheiten an sich hätte. Und musst du denn alles, auch Fehler und Unvollkommenheiten des Freundes mit seiner Freundschaft in dich aufnehmen? Gewiss sollst du ihn trotz seiner Fehler lieben, aber die Unvollkommenheiten als solche sollst du weder lieben noch annehmen. Die Freundschaft verlangt ja die Mitteilung des Guten, nicht des Schlechten. Die Goldwäscher am Tajo holen den Sand aus dem Fluss, waschen das Gold heraus und behalten es, während sie den Sand am Ufer liegen lassen. So muss auch der Freund den Sand der Fehler vom Gold der Freundschaft trennen und ihn nicht in seine Seele einlassen.
Der hl. Gregor von Nazianz bezeugt, dass manche, die den hl. Basilius liebten und bewunderten, so weit gingen, ihn auch in seinen äußeren Unvollkommenheiten nachzuahmen, in seiner langsamen Sprechweise, in seiner etwas zerstreuten und abwesenden Art, im Schnitt seines Bartes und in seiner Haltung. So sehen wir auch, dass Männer, Frauen und Kinder, Freunde, die ihre Gatten, Eltern und Freunde hochschätzen, sich durch den Umgang mit ihnen aus Nachgiebigkeit oder Anhänglichkeit manche Grillen und unangenehme Eigenheiten angewöhnen. Jeder hat schon genug an seinen eigenen schlechten Neigungen und braucht sich nicht außerdem mit denen der anderen zu belasten. Nicht nur, dass die Freundschaft dies nicht verlangt, sie verpflichtet uns im Gegenteil zu gegenseitiger Hilfe, damit wir unsere Unvollkommenheiten ablegen lernen. Gewiss sollen wir unseren Freund mit all seinen Fehlern ertragen, wir dürfen ihn aber darin nicht bestärken und noch weniger seine Fehler auf uns übertragen.
Dabei spreche ich nur von Unvollkommenheiten, denn Sünden dürfen wir am Freund weder dulden noch zulassen. Das wäre eine schwache, schlechte Freundschaft, wenn man den Freund untergehen sähe und ihm nicht zu Hilfe eilte; wenn man ihn an einem Geschwür sterben ließe, ohne den Schnitt der Zurechtweisung zu wagen, der ihn retten könnte. Die wahre und lebendige Freundschaft kann unter Sünden nicht bestehen. Man sagt, der Salamander lösche das Feuer aus, in das er sich hineinlegt; so zerstört die Sünde die Freundschaft, wenn sie sich in ihr einnistet. Taucht die Sünde nur vorübergehend auf, dann jagt die Freundschaft sie durch Zurechtweisung in die Flucht; hält sie sich aber auf und bleibt, dann muss die Freundschaft an ihr zugrunde gehen, denn sie kann nur bei echter Tugend bestehen.
Noch viel weniger ist es erlaubt, aus Freundschaft zu sündigen. Der Freund wird zum Feind, wenn er uns zur Sünde verleiten will; er verdient es, die Freundschaft zu verlieren, wenn er den Freund verderben und in die Verdammnis fallen lassen will. Es ist daher eines der sichersten Kennzeichen einer falschen Freundschaft, wenn sie mit einer lasterhaften Person geschlossen wird, ganz gleich, welchem Laster sie ergeben ist. Ist der, den wir lieben, lasterhaft, so ist es zweifellos auch unsere Freundschaft; da sie nicht auf einem echten Wert beruhen kann, muss sie einen Scheinwert im Auge haben und irgendeine sinnliche Eigenschaft.
Vereinigungen mit dem Zweck zeitlichen Vorteils haben nur den Anschein wahrer Freundschaft, denn sie sind nicht aus Liebe zu den Personen dieses Kreises geschlossen, sondern aus Liebe zum Gewinn.
Zwei göttliche Worte schließlich sind die starken Säulen, die dem christlichen Leben seine Festigkeit geben. Das eine vom Weisen: „Wer Gott fürchtet, wird auch eine gute Freundschaft haben“ (Sir 6,17); und das andere vom hl. Jakobus: „Die Freundschaft dieser Welt ist Gott Feind“ (Jak 4,4).

HOME | VORIGES KAPITEL | INHALT | NÄCHSTES KAPITEL

NACH OBEN