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  10. Kapitel
    Wie  man sein Herz gegen Versuchungen stark macht.
  Prüfe von Zeit zu Zeit, welche Leidenschaften in deiner  Seele vorherrschen. Bist du dir darüber klar geworden, dann nimm die  entgegengesetzte Haltung in Gedanken, Worten und Werken ein.
    Fühlst du z. B. eine starke  Neigung zur Eitelkeit, dann denke oft an die Armseligkeit des  menschlichen Lebens; bedenke, wie peinlich diese Eitelkeiten deinem Gewissen in  der Todesstunde sein werden, wie unwürdig eines edel gesinnten Herzens sie  sind. Bedenke, wie kindisch das alles ist. Sprich oft verächtlich von der  Eitelkeit, auch wenn es dir scheint, dass du es nur ungern tust, denn dadurch  bist du es dann deinem Ruf schuldig, zur Gegenpartei zu halten. Außerdem regen  wir uns selbst zum Hass gegen das an, was wir mit Worten bekämpfen, wenn wir  auch früher Zuneigung dafür empfanden. Nimm möglichst oft Erniedrigendes und  Demütigendes auf dich, auch wenn es dir schwer fällt. So wirst du dich in der  Demut üben und die Eitelkeit schwächen. Kommt dann die Versuchung, wird sie  nicht mehr so stark von der Neigung begünstigt und du hast mehr Kraft, sie zu  bekämpfen.
    Neigst du zum Geiz, dann denke oft über das Unsinnige  dieser Sünde nach, die uns selbst zu Sklaven dessen macht, was geschaffen ist,  uns zu dienen. Bedenke, dass du bei deinem Tod alles verlassen, es diesem oder  jenem vererben musst, der es verschwenden oder dem es zum Verderben gereichen  wird. Sprich oft gegen den Geiz und preise die Verachtung der irdischen Güter.  Zwinge dich oft dazu, Almosen zu geben, Werke der Nächstenliebe zu üben und  Gelegenheiten ungenützt zu lassen, bei denen du Geld und Gut erraffen könntest.
    Neigst du zu Liebeleien, so denke oft daran, wie  gefährlich sie für dich wie für die anderen sind, wie unwürdig es ist, unsere  edelste Leidenschaft zu entweihen und zu einem Zeitvertreib herabzuwürdigen.  Denke daran, dass man sich deswegen dem Tadel äußerster Leichtfertigkeit  aussetzt. Lobe oft die Herzensreinheit und Herzenseinfalt, handle danach,  soviel du nur kannst, und meide alles zärtliche und eitle Getue.
    Mit einem Wort: übe die entgegengesetzten Tugenden in  Friedenszeiten, also dann, wenn dich die Versuchungen nicht bedrängen,  denen du ausgesetzt bist. Bieten sich Gelegenheiten dazu nicht von selbst, dann  geh ihnen entgegen, um ihnen zu begegnen. So wirst du dein Herz stark machen, dass  es auftretenden Versuchungen standzuhalten vermag.
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