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  12. Kapitel
    Von  der Traurigkeit.
  „Die Traurigkeit im Sinne Gottes“, sagt der hl. Paulus, „bewirkt  Bekehrung zum Heil, die Traurigkeit der Welt aber führt zum Tode“ (2 Kor 7,10).
    Es gibt also eine gute und eine schlechte  Traurigkeit,  je nach den Wirkungen, die ihr entspringen. Tatsächlich ruft sie mehr schlechte  Wirkungen hervor als gute. An guten kann man nur zwei aufzählen: Barmherzigkeit  und Buße, dagegen sechs schlechte: Angst, Trägheit, Empörung, Eifersucht, Neid  und Ungeduld. Deshalb sagt auch der Weise: „Die Traurigkeit tötet viele und es  ist kein Nutzen in ihr“ (Sir 30,23); denn von acht Bächen, die dieser Quelle  entspringen, sind nur zwei klar, sechs dagegen trüb.
    Der böse Feind bedient sich der Traurigkeit, um die  Guten zu versuchen. Er will, dass die Schlechten an der Sünde Freude haben und  die Guten über ihre guten Werke traurig seien. Er kann zum Schlechten nur  dadurch locken, dass er es angenehm scheinen lässt, ebenso kann er vom Guten  nur dadurch abhalten, dass er es unangenehm empfinden lässt.
    Der böse Feind hat Freude an unserer Traurigkeit und  Schwermut, weil er selbst traurig und schwermütig ist und es ewig bleiben wird.  Deshalb will er, dass ihm darin alle gleichen.
    Die schlechte Traurigkeit verwirrt die Seele,  beunruhigt sie, flößt ihr übertriebene Furcht ein, verekelt das Gebet, betäubt  und belastet den Geist, beraubt die Seele des Rates und der Entschlusskraft,  des Urteils und Mutes und zerschlägt ihre Kraft. Sie ist wie ein strenger  Winter, der alle Schönheit der Erde gleichsam hinwegrafft und alles Lebende  erstarren lässt; mit einem Wort: sie nimmt der Seele alle Anmut, lähmt und  entkräftet sie in all ihren Fähigkeiten.
    Sollte es dir jemals zustoßen, von dieser schlechten  Traurigkeit befallen zu werden, dann wende folgende Heilmittel an: „Wer  traurig ist“, sagt der hl. Jakobus (5,13), „der bete.“ Das Gebet ist ein  unübertreffliches Mittel, denn es erhebt unseren Geist zu Gott, unserer  einzigen Freude, unserem einzigen Trost. Dein Gebet aber bestehe in innerlichen  oder auch ausgesprochenen Worten und Affekten, die auf Gottvertrauen und  Gottesliebe abzielen, wie: „Barmherziger Gott! Mein gütiger Gott! Mein  lieber, gütiger Jesus! Du Gott meines Herzens! Meine Freude, meine Hoffnung!  Geliebter meiner Seele!“ und ähnliche.
    Bekämpfe lebhaft den Hang zur Traurigkeit! Gib  keine Übung auf, selbst wenn es dir scheint, als verrichtest du in dieser Zeit  alles freudlos, lässig und kalt. Der böse Feind will uns durch die Traurigkeit  dahin bringen, dass wir in der Übung des Guten nachlassen; sieht er aber, dass  wir trotzdem ausharren, ja dass unsere Werke nur wertvoller werden, weil wir  sie trotz inneren Widerstrebens ausführen, dann hört er bald auf, uns damit zu  plagen.
    Singe fromme Lieder. Dadurch ist der böse Feind schon  oft vertrieben worden. So wurde durch Psalmengesang das Ungestüm des bösen  Geistes bezähmt, von dem Saul besessen war (vgl. 1 Sam 16,14ff).
    Es ist auch gut, sich mit körperlichen Arbeiten  zu beschäftigen, und zwar mit verschiedenartigen, um dadurch den Geist vom  Gegenstand der Traurigkeit abzulenken, ihn zu klären und zu erneuern, denn die  Traurigkeit ist von Natur aus eine kalte und unfruchtbare Leidenschaft.
    Gib dich äußeren Werken des Eifers hin, auch wenn du  sie gefühllos ausführst. Umfange das Kreuz, drücke es an die Brust, küsse Hände  und Füße des Gekreuzigten, erhebe Augen und Hände zum Himmel, während du dein  Herz durch Worte der Liebe und des Vertrauens zu Gott emporschwingst, z. B.  durch diese: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein“ (Hld 2,16). „Mein  Geliebter ist mir wie ein Myrrhenstrauß, ich halte ihn umfangen“ (Hld 1,12). „Meine  Augen sind auf Dich geheftet, mein Gott; wann wirst Du mich trösten?“ (Ps  119,82). „Jesus, sei mir Jesus! Es lebe Jesus, und meine Seele wird leben.“ „Wer  wird mich von der Liebe meines Gottes trennen?“ (Röm 8,35) und ähnliche kurze  Gebete.
    Mäßiger Gebrauch der Geißel ist ein gutes Mittel gegen die  Traurigkeit, weil dieser freiwillige körperliche Schmerz innere Freude bewirkt.  Die Seele leidet den körperlichen Schmerz mit und wird dadurch von ihrem  eigenen Leid abgelenkt.
    Meist wirkt der Empfang der heiligen Kommunion am  nachhaltigsten gegen die Traurigkeit; denn dieses Himmelsbrot stärkt das Herz  (Ps 104,15) und erfreut das Gemüt.
    Eröffne deinem Beichtvater und Seelenführer demütig  und gewissenhaft alle Gefühle, Affekte und Gedanken, die deiner Traurigkeit  entspringen. Suche die Gesellschaft von Menschen religiöser Gesinnung und  pflege mit ihnen während dieser Zeit möglichst häufigen Umgang.
    Schließlich ergib dich in Gottes Hand, sei bereit,  diese Last der Traurigkeit als gerechte Strafe für deine eitlen Vergnügungen  geduldig zu tragen. Zweifle nicht daran, dass Gott dich nach der Zeit der  Prüfung von diesem Leid befreien wird.
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